Ein ePortfolio über alle Praxisphasen der Lehrer*innenbildung an der Universität Greifswald

Margitta Kuty/Georg Heyden, Universität Greifswald

Im Rahmen des vom Land Mecklenburg-Vorpommern geförderten Programms ‚Digitale Lehre in MV‘ (2019-2023) entsteht fakultäts- und fachübergreifend ein ePortfolio über alle Praxisphasen der Lehramtsausbildung an der Universität Greifswald. Dies ermöglicht einerseits eine Abstimmung über aufeinander aufbauende Zielstellungen und zeigt den Studierenden andererseits die persönliche Kompetenzentwicklung über die Praxisphasen hinweg auf. An der Ausarbeitung des ePortfolios sind neben Dozierenden der Schulpädagogik Vertreter*innen von Fachdidaktiken verschiedener Fakultäten der Universität, der Sonderpädagogik und Studierende beteiligt.

Genese

Ausgehend von inneruniversitären Diskussionen um eine sinnvolle Verzahnung der Praxisphasen, um verbesserte – auch individuelle-  Betreuungsmöglichkeiten nicht nur vor und nach, sondern vor allem auch während des Praktikums, und vor dem Hintergrund der zu jener Zeit akuten Corona-situation (2019/2021) befürworteten Studierende im Zuge von Umfragen ab Dezember 2019 eine mögliche Einführung eines ePortfolios, sofern u. A.:

  • eine Betreuung aufgaben- und problemgeleitet und kleinschrittig im Zuge des gesamten Praktikums (keine Reflexion nur am Ende) erfolgt (ortsunabhängig);
  • Reflexionen und Kernpunkte aus dem ePortfolio in den Begleitseminaren und/oder anderen Veranstaltungsformaten Zeit und Raum erhalten, u. A. durch einen einfachen und individuell beeinflussbaren Zugang zu eDokumenten von Studierenden für alle;  
  • Aufgaben nicht pauschal für alle Studierenden gleich sind, sondern individuelle Schwerpunktsetzungen ermöglichen (angeleitet Elemente des forschenden Lernens);  
  • Möglichkeiten geschaffen werden, die über reine Schreibarbeiten hinausgehen (klassischer Bericht/Hausarbeit etc.) und vielfältige Darstellungen nicht nur ermöglichen, sondern auch anerkennen und wertschätzen (multimedialer Zugang via Video, Audio, Notizen, Fotostrecken etc.).

Eine an der Universität Greifswald ins Leben gerufene Arbeitsgruppe ePortfolio arbeitet seit dieser Zeit sowohl an der technischen Umsetzung (Mahara) als auch konzeptionell an der Verzahnung der Praxisphasen unter Berücksichtigung der jeweiligen Schwerpunkte jeder Phase. Zudem gilt es, alle Lehrenden und Studierende auf den Umgang mit den digitalen Möglichkeiten gezielt vorzubereiten.  

Zielstellungen

Ein wichtiges Projektziel besteht darin, die Praxisphasen der Lehrer*innenbildung stärker und sichtbar miteinander zu verzahnen ohne die jeweiligen Schwerpunktsetzungen einzelner Praxisphasen zu behindern. Wichtige Bausteine für Verzahnungsmöglichkeiten werden intensiv mit den beteiligten Akteur*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen (wie der Schulpädagogik, der Psychologie, der verschiedenen Fachdidaktiken oder der Sonderpädagogik) diskutiert, workshops mit Expert*innen durchgeführt und mit studentischen Befragungen kombiniert. Zudem werden erste seminaristische Elemente in Begleitseminaren in Zusammenarbeit mit Studierenden und Dozierenden der Psychologie erprobt und evaluiert. Zu den an der Universität viel diskutierten und favorisierten Themenfeldern, deren Reflexionen sich über alle Praxisphasen anbieten, gehören die Entwicklung der Lehrer*innenpersönlichkeit (besonderes Anliegen der Studierendenschaft), das Rollenverständnis je Praxisphase, die Bedeutsamkeit von classroom management und die Entwicklung der Reflexionskompetenz.  

Als besonders wichtiges Projektziel erscheint Dozierenden und Studierenden letztlich die Ausbildung und intensive Schulung der Reflexionskompetenz auch mit Blick auf die 2 und 3. Ausbildungsphase. Dies gelingt durch eine ergebnisorientierte digitale Visualisierung und Dokumentation der Kompetenzentwicklung nach jeder Praxisphase in Rückbezug zur vorherigen Praxisphase. In den jeweiligen Begleitseminaren sollen Aspekte daraus gezielt aufgegriffen und reflektiert werden.  Vor diesem Hintergrund dient das ePortfolio schwerpunktmäßig als digitales Reflexionsinstrument mit flexibel einsetz- und aufrufbaren digitalen Bausteinen. 

In Anlehnung an Korthagen und Storch ist ein Modell entwickelt worden, das den zyklischen Reflexionsprozess darstellt und Elemente der Ressourcenorientierung mitberücksichtigt. Jede Praxisphase durchläuft den gesamten Zyklus, nimmt dabei aber einen Bereich des Modells besonders in den Fokus. Im Laufe des Studiums setzen sich Studierende dadurch mit jedem Bereich des Modells zumindest einmal tiefgründig auseinander und erlernen das strukturierte Reflektieren. Dabei bringen sie Erkenntnisse aus einer Praxisphase in die nächste ein. (siehe Modell auf Poster unten)

Audiofassung und Poster (PDF)

Audiofassung auf Englisch "Developing Reflection Skills in Teacher Education":

https://grypstube.uni-greifswald.de/w/nYKrLpe5GTkN4kR3Vh4KoQ  (4:36 min)

Mahara

Für die Umsetzung des ePortfolios nutzt die Universität Greifswald die freie, quelloffene und web-basierte ePortfolio-Software Mahara.  Sie ermöglicht es Studierenden, Portfolios in einer Art Baukastenprinzip zusammen zu setzen. Mit Hilfe verschiedener Blocktypen lassen sich in Mahara Seiten und Sammlungen multimedial gestalten und mit anderen Personen teilen (siehe Beispiele unten). Vergleichbar mit einem sozialen Netzwerk können in Mahara Gruppen gebildet, Räume online zur Verfügung gestellt, in Foren diskutiert oder sich über erstellte Inhalte ausgetauscht werden. Am Ende des Semesters oder einer Praxisphase können (Teile von oder) alle erstellten Inhalte auch als Prüfungsleistung eingereicht werden. Die bei Mahara erstellten ePortfolios bleiben das gesamte Studium über gespeichert und ermöglichen dadurch den spontanen Rückgriff auf Inhalte aus früheren Semestern oder Praxisphasen.

Erste Erfahrungen

Seitdem Mahara im April 2021 an der gesamten Universität Greifswald etabliert wurde, sind über 1100 Nutzer*innen auf der Plattform aktiv, die insgesamt fast 10000 einzelne Seiten erstellten (siehe Grafik: Stand Februar 2023). Zu den meisten Nutzer*innen gehören Dozierende und Studierende aus der Lehramtsausbildung, zum Beispiel dem Grundschullehramt, den Erziehungswissenschaften oder den Fachdidaktiken. In anderen Studienfächern wie der Kommunikationswissenschaft oder in Sprachkursen des Sprachenzentrums wird Mahara ebenfalls verwendet.

Unterstützungsangebote

Um den Einstieg in die Arbeit mit Mahara für Dozierende und Studierende zu erleichtern, stehen HIER vielfältige Unterstützungsangebote zur Verfügung (Hier der Link zu Videotutorials/Selbstlernkurs an der Uni Greifswald: https://moodle.uni-greifswald.de/course/view.php?id=9477 

Dazu gehören:

  • digitale wöchentliche Sprechstunden
  • Unterstützung bei der Durchführung von Einführungsveranstaltungen in Präsenz und/oder digital 
  • die Ausbildung von eTutor*innen, die die Studierenden und Dozierenden der jeweiligen Fachbereiche bei der Arbeit mit Mahara konkret unterstützen
  • ein Selbstlernkurs, bestehend aus Videotutorials und schriftlichen Anleitungen, der alle Grundlagen zu Mahara nachhaltig vermittelt
  • die Erstellung von speziellen Videotutorials für Dozierende zu wichtigen Problemfeldern wie z. B. zur Bewertung von Portfolios

Nachhaltige Verankerung und Ausblick

Im Förderzeitraum konnten – trotz coronabedingter Umstände, die zunächst eine Verlagerung der Aufmerksamkeit auf andere basale Tools zur Gewährleistung von Lehre überhaupt zur Folge hatte - wichtige Grundlagen für die Etablierung des ePortfolios für die Praxisphase an der Universität Greifswald geschaffen werden. Die Software Mahara ist sowohl als Reflexionstool als auch als anerkanntes Prüfungsinstrument inzwischen fest in der Ausbildung verankert und steht auch allen anderen Hochschulmitarbeitenden und Studierenden zur Verfügung. Fortbildungs- und Unterstützungssysteme können von allen Dozierenden und Studierenden – unabhängig von ihrem Fachgebiet – online abgerufen werden. Die Anerkennung des ePortfolios als Prüfungsinstrument ist ab dem Wintersemester 2023/24 in der Studienordnung für die Praxisphasen im Lehramt verankert. Zudem befindet sich eine Handreichung zur Entwicklung der Reflexionskompetenz über alle Praxisphasen in der Ausarbeitung, die konzeptionelle Hintergründe beleuchtet und sich zunächst an Dozierende wendet (vor allem für neue Kolleg*innen an der Universität).

Im Zuge einer möglichen Weiterarbeit wäre ein Leitfaden durch alle Praxisphasen für Studierende (und später Referendar*innen) sinnvoll (Fokus Reflexionskompetenz).

Die Verzahnung und Intensivierung der Zusammenarbeit mit allen Akteur*innen und Institutionen der verschiedenen Ausbildungsphasen (1. – 3. Phase der Lehramtsausbildung) stellt den Ausblick dar. Die Nutzung eines ePortfolios ermöglicht es, mittels Exportfunktion alle Ergebnisse in die nächste Ausbildungsphase zu transferieren, sodass nahtlos sowohl im Referendariat als auch im beruflichen Alltag an Schulen weiter an der Entwicklung professioneller Reflexionskompetenz (dann ggf. sowohl als Lehrende als auch als Mentor*in) gearbeitet werden kann. Die aktuellen Entwicklungen des Aufbaus von itslearning an den Schulen im Land M-V und die Bemühungen um einen Zugang auch der Universitäten zu diesem System könnten die Chance auf Kollaboration in multiinstitutionellen Teams erhöhen. Dazu wäre es jedoch auch nötig, die Lehrer*innenbildung als Ganzes zu verstehen und gemeinsam für eine systematisch aufbauende, sinnvoll zwischen den Phasen abgestimmte, kompetenzorientierte Lehrer*innenbildung wertschätzend über alle Ausbildungsphasen hinweg einzustehen.

Herausforderungen und Risiken einer zunehmend digitalen Lehre und Betreuung

Digitale Tools können die in der Lehrer*innenbildung so wichtige und notwendige soziale Interaktion zwischen allen Akteuren – möglichst in Präsenz – zwar unterstützen, nicht aber ersetzen. Gruppen- und individuelle Reflexionen zu Themenfeldern, die die Studierenden selbst wählen, weil sie sie bewegen und wichtig sind für ihre Kompetenzentwicklung, lassen sich zwar mittels entsprechender Funktion auch bei Mahara professionell digital kommentieren, führen jedoch nicht zu der tiefgründigen Auseinandersetzung und teilweise auch dringend notwendigen Begleitung, die man sich als Dozierende und auch Studierende*r wünscht. Kürzungen in der (sowohl Gruppen- als auch individuellen) Betreuungszeit zwischen Studierenden und Dozierenden für die Praxisphasen durch die Nutzung von digitalen Tools sind daher kontraproduktiv. Vielmehr gilt es, die Betreuungszeit (sowohl digital als auch in Präsenz) je Studierende*n in den Praxisphasen zu erhöhen, um nachhaltigere Effekte zu erreichen.

 

Literatur:

Korthagen, Fred A.J. (2022): The power of reflection in teacher education and professional development: strategies for in-depth teacher learning. New York: Routledge

Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg (2020): Reflexionskompetenz fördern. Reflexion und Reflexionskompetenz in der Lehrkräftebildung. Hamburg: a&c Druck und Verlag Gmbh.

Storch, Maja (2000): Das Zürcher Ressourcen Modell ZRM. In: Beiträge zur Lehrerbildung, 18 (3). Bern: Suter Print AG, S. 307-324.